Sängerinnen und Sänger komponieren Schubert neu für ihr Jahrhundert
Projektchor ,,Akzente“ des Musikkollegs erarbeitet die ,,Winterreise“ des Romantikers für das Laborzelt der Deutschen Oper am Rhein
Im Workshop komponieren, seine Stimme und den Körper als Instrument nutzen, Schubert ins 21. Jahrhundert transportieren… Und mit Neuem in der Musik viel Spaß haben. Mit Vorwissen, Wünschen sowie viel Spannung starteten gut dreißig erfahrene Sängerinnen und Sänger in einen besonderen Workshop. Denn im Abteizentrum wartete das UFO-Projekt der Deutschen Oper am Rhein. UFO sollt musikalisch noch Unbekanntes im Workshop fliegend leicht für eine Vorfrühlings-Aufführung schaffen und inszenieren. Die Aufführung der rund drei Dutzend Sängerinnen und Sänger wird am 2. März mit anderen Chören am Duisburger Dellplatz rund um ein mobiles Zelt der Düsseldorf-Duisburger Oper stattfinden.
Beim ersten Zusammentreffen ging es für die Sänger um die ,,Challenge“ einer Schubert-Transformation fürs Jahr 2024 in Duisburgs City. Ja, im März würden die Akzente-Sänger nah am Dellplatz-Zelt, dem offenen Musik-Labor der Deutschen Oper am Rhein singen. Das über das Rheinland hinaus bekannte Opernhaus hatte den Projektchor des Musikkollegs mit der Idee für die Aufführungen der modernen ,,Winterreise“ kurz vor Frühlingsbeginn eingeladen. Von der Oper gefördert und durch den Hamburger Geiger und Coach Tonio Geugelin (31) werden bis zum März-Auftritt noch acht Workshops und Proben nahe der Hamborner Abtei stattfinden. Die Oper setzt das mobile Zelt seit drei Jahren ein, um musikalisch Aktive zu motivieren, Musik für ihre Stadtteile und Lebensorte neu zu schaffen und meist modern zum Klingen zu bringen.
Was das Unbekannte am UFO ist, wurde den Singenden schnell klar durch Erläuterungen der Projektleiterinnen Elise Schobeß, Theresa von Halle mit ihrer Assistentin Lisa Kanthack. Mit Tonio Geugelin sollte der Projektchor zwei Lieder der Winterreise (1827) als Mitkomponist/-innen ganz anders entwickeln. Hörend und lautmalend formulierte ein Teil der Gruppe zu den Schubert-Liedern neu und von Gedanken und Assoziationen ausgehende Klänge und Texte. Sie erlebten, dass das nicht nur Vorübung zum Singen war, sondern wie sie sich im Kreis durch Atem, Klang und Rhythmusübungen schon auf Elemente einer neuen Komposition einstellten. Mit ihrem Coach Tonio entdeckten sie auch, wie sie luftgefüllte Mundhöhlen schaffen und dann effektvolle Klänge auch durch gepresste und dann wie ,,Ventile“ geöffnete hervorbringen können. Dazu entstanden – etwa durch Laute und Klänge ihrer Schuhe und Füße – erste Ideen für ihren Auftritt am Dellplatz. Natürlich blieb die menschliche Stimme der langjährigen ehrenamtlichen Sängerinnen und Sänger nie außen vor.
In Auseinandersetzung mit der zuweilen kalt und beschwerlich wirkenden ,,Winterreise“ waren an der Abtei zudem ein reguliertes Summen, manchmal ein frostiges Schnarren und Schallen sowie auch melodische Stimmen zu hören. Im Rund des warmen Saales machte das alles Freude auf mehr. Geugelin (31), studierter Geiger mit Zusatz-Examen auch als Violinist für Pop, Gesang und Jazz, erforschte mit den Sängern, wie Ton-Effekte und ungewöhnliche Klang-Motive Schubert und seine Lieder neu in Säle und auf Plätze bringen könnten.
Das Erarbeitete wird er bis März nach jeder der acht folgenden Workshop-Proben in Noten festhalten und für die Neue Komposition formen. So erklingt nach und nach eine eigene Komposition der Sänger und ihres Meister-Coaches.
Dass sich die meist langgedienten Sängerinnen im Genre moderner oder klassischer Kirchenmusik über Gospel bis hin zum Opernchor freudig auf ganz Anderes einließen, lag an ihrer Neugier und an Geugelins Kunst. Mal demonstrierte er auf seiner Violine Temperament und das Instrument. Dann wieder bewegte er sich als Impulsgeber im Saal: von der stehenden und klingenden Projektgruppe hin zur ,,Schubert-Box“ oder zum Piano. Er motivierte. ,,Ich nehme mit, was ihr hier schafft“, verbreitete der 31-jährige Vorfreude auf das neue Werk. Und: ,,Was bei unserem Projekt entsteht, wird 2024 gegenüber der romantischen Winterreise schneller und wohl rhythmischer daherkommen.“
„Unsere Reise in den Frühling wird am 2. März anders als Schubert sein, aber erkennbar bleiben“, zog eine Teilnehmerin eine erste Bilanz. Schon zwei Stunden nach dem Start stand der Workshop für viele neue Klangerlebnisse und -ideen. Für die Singenden folgt nun die Proben-Arbeit und ganz andere Komposition Woche für Woche. Reizvolle Spannung wird bis zum Ziel und der Generalprobe Ende Februar bleiben. Denn mit Schubert anno 2024 geht es auch um Musik gewordene menschliche Emotionen. Modern und treu wird der Romantiker durch Sänger entwickelt. Ebenso wie das Winter-Naturerlebnis in der Musik und Gefühle von Menschen unterwegs in den Frühling.